Jesaja 62,6f.10-12; Predigt:

 

„ O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«. “

 

Reformation besteht aus zwei Verhaltensweisen: Dem Auszug und dem Einzug. Nach der 70-jährigen Gefangenschaft Babylons konnte das Volk Jsrael wieder heimziehen. Andere Jesaja Stellen forderten das Volk auf, aus Babylon auszuziehen, um wieder Jsrael zu besiedeln. Hier ist mehr davon die Rede, Jerusalem wieder aufzubauen und bewohnbar zu machen: Auszug und Einzug. Dr. Martin Luther erkannte viele Missstände in seiner Kirche und schlug deshalb die 95 Thesen an das Portal der Schlosskirche in Wittenberg. Darin rief er zur Umkehr auf: Auszug und Einzug. Auch unter uns läuft nicht alles so, wie es sein sollte. Wenn wir das erkennen, dann gilt es, dies in Zukunft besser und anders zu machen: Auszug und Einzug.

Die Reformation will nichts anderes, als uns zu den wahren Lebensquellen zu führen. Und weil wir oft Lebensformen haben, die uns nichts einbringen, sondern mehr schaden; - das Alte Testament bezeichnet das mit löchrige Brunnen; - lassen wir das hinter uns und wenden uns dem zu, was momentan möglich und wichtig ist. Und dazu will uns Gott verhelfen. Dazu öffnet er uns die Augen, Ohren und Herzen. Jeder praktizierende Christ hat da seine eigene Chancen; seinen eigenen Weg.

Die Zukunft unseres Lebens liegt nicht in unerreichbarer Ferne, sondern in allernächster Nähe. Was wir heute tun, das prägt unsere Zukunft. So ist es wesentlich, was wir mit unserem Leben anfangen und unsere Chancen nützen. Sagen wir nie, unser Einsatz hat keinen Sinn; ich kann doch sowieso nichts verändern. Sondern gehen wir ganz gewiss unseren Weg, den uns Gott zeigt. Dazu darf jeder von uns seine ganz persönliche Beziehung zu Gott haben und sich dort einbringen, wo ihn Gott hingestellt hat.

Es ist immer faszinierend, was Gott mit uns anfängt und unternimmt. Er schenkt uns seine volle Gegenwart, Aufmerksamkeit und Segen. Er ist nie karg und kleinkariert. Immer dürfen wir aus seiner Fülle schöpfen; aus seiner vollen Hand Gnade um Gnade nehmen. Er wäre nicht Gott, wenn er nicht immer einen Rat, eine Hilfe, einen Weg oder einen Segen parat hätte.. Es liegt an uns, dies zu erkennen, auszunützen und zu gebrauchen.

Jsrael fand in Jerusalem eine belämmernde, niederschmetternde Lage vor. Alles war zerstört. Sehr vieles musste aufgebaut werden. Auch unser Leben besteht aus vielen Plagen und Beschwernissen. Drei Aufgaben zeigt uns dieser Text, damit Reformation auch unter uns geschieht: 1) Durch unseren vollen Kontakt zu Gott ergründen wir, was er will. 2) Was wir dabei erkennen, dafür setzen wir unser ganzes Leben ein. 3) Dann bricht das Goldene Zeitalter an, weil Gott sehr hohe Auszeichnungen für uns bereit hält.

 

1) Durch unseren vollen Kontakt zu Gott ergründen wir, was er will (6f).  Im Text ist da von den Wächtern die Rede, die Tag und Nacht nicht locker lassen, bis Jerusalem wieder gebaut ist. In diesem Fall haben die Wächter weniger den Auftrag, Ausschau nach dem Feind zu halten. Sondern Luther hat das einmal sehr drastisch gesagt: Sie sollen Gott in den Ohren liegen, damit er seine Verheißungen erfüllt!

Wir dürfen ergründen, was Gott will. In dieser Beziehung gilt es, im Gebet nicht locker zu lassen; sich vor Gott abzuklären; um seine Gnade, Fürsorge und Geleit zu ringen und zu flehen. Dann ist es keine Frage mehr, dass es vorwärts und weiter geht. Es sollte unsere alltägliche Gewohnheit sein, alles mit Gott zu besprechen und von ihm zu erwarten.

Normalerweise tun wir Menschen das nämlich nicht. Wenn irgend welche Schwierigkeiten kommen, dann fangen wir zu stöhnen und zu klagen an und schieben Gott und der Welt alle Unannehmlichkeiten in die Schuhe. Oder wir ergeben uns resigniert unserem Schicksal und versauern und meinen, nichts mehr unternehmen zu können. Wenn Dr. Martin Luther sich so verhalten hätte, dann wäre es nie zur Reformation gekommen.

Es sollte unser oberstes Gebot sein, sich ganz dem Reden Gottes zu öffnen. Auch das ist eine Kunst, die gelernt sein will. Denn es gilt, die Stimme Gottes unterscheiden zu können von den eigenen Wünschen und der Stimme des Versuchers. Unser Gebet ist dabei ja kein Selbstgespräch, sondern das Reden mit Gott, bei dem nicht nur ich rede, sondern auch Gott zu Wort kommt. Und durch die Bibellese und Wortverkündigung bekommen wir so langsam ein Gespür für die rechten Anliegen Gottes. Das ist es, was hier mit dem Wächteramt gemeint ist.

Wenn wir dieses Reden mit Gott nicht abreißen lassen, dann wissen wir für unseren Teil, was Gott vor hat und was unsere nächsten Schritte sind; wo unser ganz persönlicher Auftrag liegt. Dann haben wir allezeit die Hoffnung und Zuversicht und natürlich auch die Kraft vorwärts zu sehen und vorwärts zu gehen.

Wenn wir etwas von Gott wissen, dann machen wir nicht den Fehler, dass wir gleich losrennen. Sondern liegen wir auch noch Gott in den Ohren, bis er dazu die Türen öffnet. Erst dann ist unser Einsatz gefordert. Dann liegt auf unserem Tun der Segen Gottes. Dann hat unser Einsatz einen Sinn.

Ich denke, wir spüren, wie wichtig und wesentlich diese Art des Wächteramtes ist. Durch unseren vollen Kontakt zu Gott ergründen wir, was Gott will.

 

2) Was wir dabei erkennen, dafür setzen wir unser ganzes Leben ein (10f)! Durch diese Wächter wurde Jsrael ermutigt, voll Elan die Stadt Jerusalem wieder aufbauen zu dürfen. Auch Luthers Thesenanschlag war nicht umsonst. Es begann für ihn ein bewegtes Leben, bei dem Gott diese Reformation geschehen ließ. Wenn Gott unsere Gebete erhört und die Türen dazu geöffnet hat, dann gilt es, keine Ausreden und Ausflüchte mehr zu haben, sondern im Gehorsam das Erfahrene zu tun. Haben wir dann bereite, willige Herzen, Hände und Füße. Durchgehen wir diese geöffnete Türen. Setzen wir alles dran, was an uns liegt. Und lassen wir all das bleiben, das uns nur dabei hindern würde. Geben wir uns mit Elan und Geschick in die uns gestellten Aufgaben.

Gott will nicht unsere Tatenlosigkeit, sondern unsere ganze Mitarbeit. Wenn er uns nach dem Gleichnis Jesu fünf Zentner anvertraut hat, dann gilt es damit zu arbeiten, um weitere fünf Zentner dazu zu legen. Wenn wir aber diese vergraben, ungenützt liegen lassen, dann kann Gott mit uns nichts anfangen und wir gehen elendiglich zugrunde.

Auch innerhalb einer Kirchengemeinde gibt es sehr viele Aufgaben. Und wie viele Pfarrer klagen, dann so wenige Menschen bereit sind, mitzumachen und sich einzusetzen. Auch unser Einsatz für die Hauskreise wird immer wesentlicher. Gerade unsere heutige Zeit ist von einem gewaltigen Strukturwandel gekennzeichnet. Wir müssen zwar nicht die Geistesströmungen mitmachen, aber wir dürfen uns dem Wandel nicht entziehen. Wir können heute nicht mehr so leben, wie es vor 50 Jahren üblich war. Das Zeitalter der Computer, der fortschreitenden Technik, aber auch der vielen und stark wachsenden Dienstleistungen verlangen von uns volle Aufmerksamkeit und vollen Einsatz, dem wir uns nicht entziehen dürfen.

Bedenken wir allezeit, dass Gott auf dieser Erde noch eine Ecke, ein Fleckchen des Paradieses aufgehoben hat. Das dürfen wir nun nicht falsch verstehen. Denn es ist nicht ein Schlaraffenland, ein Wolkenkuckucksheim. Sondern dies ist die armselige Gemeinde. Und diese praktizierende Gemeinde besteht aus Menschen, die zu einem aufopferungsbereiten Leben nach Römer 12 befähigt sind: „Sie bringen ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das ist ihr vernünftiger Gottesdienst.“ Unsere Erde wird zwar niemals mehr zum Paradies. Das ist seit dem Sündenfall vorbei und das ist schon sehr lange her. Also den Himmel auf Erden gibt es nicht. Aber die Gemeinde darf so eine Art Kolonie des Himmels sein, eine Oase des Himmels, eine Enklave des Himmels. So ist unser Einsatz in der Gemeinde ganz wichtig. Was wir als unser Aufgabe vor Gott erkannt haben, dafür setzen wir unser ganzes Leben ein.

 

3) Dann bricht das Goldene Zeitalter an, weil Gott sehr hohe Auszeichnungen für die Seinen bereit hat. Vers 12: Man wird sie nennen: Heiliges Volk;  Erlöste des Herrn; gesuchte und nicht mehr verlassene Stadt. Ein paar Kapitel vorher spricht derselbe Prophet vom Fasten, dem rechten Verhalten der Gemeinde. Und dieses Kapitel schließt mit den beeindruckenden Aussagen: Du wirst rufen und der Herr wird dir antworten. Dein Licht wird hervorbrechen wie die Morgenröte und in der Finsternis aufgehen. Dein Dunkel wird sein wie der Mittag und deine Heilung wird schnell voran schreiten und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen. Der Herr wird dich immerdar führen und dich in der Dürre sättigen und dein Leben stärken. Die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat. Du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward. Du sollst heißen: Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne. Oder denken wir an die Aussage in 1. Petrus 2: Ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums Gottes. Auch Jesus hat seinen Jüngern, die alles einfache Leute waren, sehr hohe Auszeichnungen gegeben. Und sogar dem Nikodemus bat er ein ganz neues Leben an, das sofort beginnen darf und in der Ewigkeit einmal vollendet sein wird.

Gott hätte es nicht nötig, aber er will es und er tut es, dass er unser Leben sehr hoch erhebt, gewaltig aufwertet und ein sehr festes Fundament für unser Leben gelegt hat. Wenn wir das akzeptieren, - in jedem Gottesdienst bekennen wir das mit dem Satz: wer da glaubet und getauft wird, der wird selig; - dann trifft das auch für uns zu. Wir sind diese Neue Kreatur, bei der alles neu, gegründet, gefestigt und ewigkeitserfüllt ist. Unser Leben erfährt diesen Qualitätssprung des Ewigen, Herrlichen, Zuverlässigen und Himmlischen. Dieses Ziel ist nicht nur ein Fernziel, sondern auch ein sehr lebendiges Nahziel.

Auch das ist Reformation, dass wir in der Tiefe und Stille unseres Lebens stark erfüllt werden. Weil wir eben Gott erleben, erleben wir auch die göttliche Bestimmung unseres Lebens. Und damit sind umwerfende Erlebnisse verbunden, die unser ganzes Leben und Auftreten bestimmen. Da wird auf einmal unsere Enge zur Weite; unsere Dunkelheit flieht und die Freundlichkeit Gottes prägt uns. Dann lassen wir uns nicht mehr von denen beeindrucken, die nur ständig klagen und stöhnen. Sondern wir strahlen eine gelassene Fröhlichkeit aus, durch die andere wieder getröstet werden und sich davon anstecken lassen. Im alten Gesangbuch stand noch der Diakonissenspruch Löhe´s, den alle Christen gerne nachsprechen: Was will ich? Dienen will ich! Wem will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen! Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich darf! Und wenn ich dabei umkomme?  ...  Jesus lässt mich nicht umkommen! Und wenn ich dabei alt werde? So wird mein Herz grünen wie ein Palmbaum und der Herr wird mich sättigen mit Gnade und Erbarmen. Ich gehe mit Frieden und sorge nichts!

Der Glanz unseres Lebens kommt nicht aus uns selbst, sondern aus unserer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus. Und weil wir da aus der großen Fülle Gottes schöpfen, können wir auch sehr vieles weiter geben. Da bricht wahrhaftig das Goldene Zeitalter an, weil Gott diese hohe Auszeichnungen für uns bereit hat.

 

Reformation besteht aus zwei Verhaltensweisen: dem Auszug und dem Einzug. Innerlich ziehen wir aus unseren Miseren aus, weil Gott in uns einzieht. Durch unseren vollen Kontakt zu Gott zapfen wir seine Lebensquelle und Lebensfülle an, die wir in unserem Alltag sehr gut gebrauchen und einsetzen können. Dann bricht das Goldene Zeitalter an, weil Gott sehr hohe Auszeichnungen für uns bereit hat. Das vollzieht sich nicht im Horten, sondern im Geben; nicht im Sammeln, sondern im Ausstreuen. Ich schließe mit Lukas 6,38: Gebt, so wird euch gegeben. Dann wird euch ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß in euren Schoß gegeben.